Ich freu mich schon auf morgen! Erste Pflänzchen einer freien Bildung sprießen auch schon in Österreich. Alljährlich wird am 15. September der Internationale Tage der Bildungsfreiheit begangen, der derzeit nur Appellcharakter hat. Warum es noch ein weiter Weg ist, bis dieser Tag tatsächlich ein Feiertag für alle bildungshungrigen Menschen ist und es sich dennoch lohnt ihn zu gehen, beschreibt Michael Karjalainen-Dräger. “Das schönste ist für mich, wenn meine Söhne abends vor dem Einschlafen sagen: ‘Ich freu mich schon so auf morgen!’ Dann weiß ich, dass sich all die Mühen gelohnt haben.” Richard Lamprecht ist Mitglied im Familiennetzwerk der Freilerner und damit einer jener Menschen, die ihren Kindern die von diesen gewünschte Bildungsfreiheit ermöglichen. Dafür geht er gemeinsam mit seiner Frau Sigrid auch die dadurch programmierten Konflikte mit Vater Staat ein und stellt sich den dann folgenden Verwaltungsstraf-verfahren wegen Schulpflichtverletzung. Der Tag der Bildungsfreiheit ist für ihn wie für die anderen Eltern von Freilernern, Homeschoolern oder Unschoolern ein Ankerpunkt für die Anforderungen, die deren Kinder an sie stellen. Allen diesen jungen Menschen, wie auch immer sie sich nun bezeichnen, ist es gemeinsam, dass sie außerhalb der Institution Schule lernen, sei es nun im häuslichen Unterricht durch Betreuung Ihrer Eltern oder in selbstorganisierten Lerngemeinschaften. Einige von ihnen - so wie die Söhne von Richard Lamprecht - treten auch nicht zu den in Österreich vorgeschriebenen alljährlichen Externistenprüfungen an. Sie sind Pionierinnen und Pioniere von noch großteils im Verborgenen existierenden Landschaften der freien Bildung. Auch in Deutschland, wo nicht nur Unterrichtspflicht wie in Österreich, sondern tatsächlich Schulpflicht besteht, gibt es Initiativen für ein Lernen außerhalb von Schule. Der Bundesverband Natürlich Lernen e. V. ist Vorreiter der Institutionaliserung des Internationalen Tages der Bildungsfreiheit, der auf Initiative französischer Homeschooler schon im Jahr 2007 ins Leben gerufen wurde. Seither finden alljährlich regionale und lokale Events statt, die die Bildungsfreiheit propagieren. “Unser Anliegen ist darauf hinzuweisen, wie wichtig die freie Wahl des individuellen Bildungsweges ist und die unterschiedlichen Bildungsalternativen für Kinder und Jugendliche, die es bei uns und in anderen Ländern gibt, bekannt zu machen. Besonders hervorheben wollen wir die Möglichkeiten schulfreier Bildungswege (Home-Education, Homeschooling, Unschooling), welche in vielen Staaten der Welt legal sind”, heißt es auf der Website des Netzwerks Bildungsfreiheit. In Österreich findet heuer - erstmals am Tag der Bildungsfreiheit - der 2. Aktionstag von Nie-mehr-Schule, der Bewegung für ein Recht auf Bildung statt. Aus diesem Anlass kommt der freischaffende Philosoph Bertrand Stern nach Wien, um bei der abendlichen Abschlussveranstaltung in der Schraubenfabrik, einen Impulsvortrag mit dem Titel “Lügen mit System? - Ein Aufruf zum Ausbruch aus der Beschulungsideologie” zu halten. Er hat dem Begriff “Bildungsfreiheit”, der ihm wegen der schwer eingrenzbaren Bedeutung von “Bildung” missfällt, sein “Frei sich bilden” entgegengesetzt. “Das Sich-Bilden – mit der Betonung auf das Rückbezügliche – ist nicht an Ziele, Zwecke, Formen gebunden; und das an den Anfang gesetzte ‘frei’ beschreibt die Qualität des Sich-Bildens”, betont Stern in diesem Zusammenhang. Der Bildungsfreiheit zum Durchbruch verhelfen werden laut Stern, “zwei sich ergänzende und unabhängige Faktoren: Einerseits wird jemand vehement und überzeugend sich für die eigenen Menschenrechte und daher gegen die Zwangsbeglückung zur Wehr setzen. Andererseits wird das System Schule an den eigenen Unvereinbarkeiten zugrunde gehen: Im- oder Explosion?” Auch einen dritten, nicht unwesentlichen Faktor ortet der Philosoph: “Die Wirtschaft kann mit dem schulisch produzierten Schrott nichts mehr anfangen”, stellt er trocken fest. Für Bertrand Stern ist eine frei-sich-bildende Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit, da eine “demokratische Lebens- und Kulturform, die sich zur Freiheit des Menschen bekennt, gar keine andere Wahl hat, als sich unumwunden hierfür einzusetzen.” Das wäre dann ein radikaler Wandel des Menschenbildes: Statt obrigkeitsorientierten, duckmäuserischen, folgsamen Objekten steht das Frei-Sich-Bilden für das Bekenntnis zum Subjekt. “Wenn wir uns zum Leben, zur Natur, zum Menschen bekennen”, so Stern, “bedeutet und bedingt dies: Risikobereitschaft! Wir wissen nicht, was Leben bringt, doch werden wir von Vertrauen in das Leben, in sich, in das Du, usw. getragen...” Das kann man durchaus auch anders sehen, in einer Welt, in der laut UNESCO-Weltbildungsbericht von 2015 noch fast 60 Millionen Kinder ohne formale Schulbildung sind. Auch in Österreich sind etwa die Kinder- und Jugendanwaltschaften oder auch die BildungssprecherInnen der politischen Parteien skeptisch, dass eine Welt ohne die Institution Schule wirklich kindgerecht ist. Diesen Argumenten kontert Bertrand Stern so: “Wer Kindheit verkauft und junge Menschen nicht als Subjekt sieht, sondern zum Objekt von Erziehung macht, bewirkt fast automatisch deren Zwangsbeglückung durch staatliche Gewalt.” Es wird wohl noch länger dauern, bis die Schulbefürworter begreifen, “wie wenig just die Beschulung die Probleme lösen kann”, sieht Stern noch einen langen Weg zu einer Bildungsfreiheit, die vom Staat lebenslang garantiert und von der öffentlichen Hand finanziert wird. In Österreich jedenfalls wird der Weg für Bildung ohne Schule durch zahlreiche Bewegungen, wie etwa die Initiative für freie Bildungswege, den Colearningspace oder den BildungsRaum, aufbereitet. Derzeit führt aber auch für die So-Bewegten kein Weg an den Externistenprüfungen vorbei, außer man nimmt, so wie Richard Lamprecht in Kauf, dass man alljährlich eine Strafverfügung wegen Schulpflichtverletzung erhält. Auch für ihn und seine Frau stellt sich dann die Frage, warum sie sich den ganzen Behörden-Trouble antun. Ihre Söhne aber haben offenbar die richtige Antwort parat, in dem sie den beiden immer wieder vermitteln, wie glücklich sie sind, nicht in die Schule gehen zu müssen. Sie freuen sich jeden Abend wieder auf den nächsten Tag in Bildungsfreiheit. Bildungsfreiheit - das unbekannte Wesen Ein Kommentar von Michael Karjalainen-Dräger Bildungsfreiheit – was ist das? Selbst der mit dem Thema bestens vertraute Philosoph Bertrand Stern mag diese Bezeichnung nicht, weil er mit der Bedeutung des ominösen Begriffes Bildung hadert und lieber von einem Frei-sich-Bilden redet. Aber lassen wir die Wortklauberei diesmal beiseite. Nehmen wir uns ein Beispiel an jenen, die sich durch nichts, auch nicht durch staatliche Verfolgung, davon abbringen lassen, ihren Kindern ein Leben ohne Schule zu ermöglichen. Sie werden zu PionierInnen einer neuen Lernkultur, die zukunftsweisend und zukunftsträchtig ist. Menschen, die ihren Interessen folgen anstatt systemrelevant funktionieren zu lernen, werden zu den PromotorInnen einer „brave new world“. Das noch kaum eineR die Chancen, die mit Bildungsfreiheit verbunden sind, begriffen hat, ist nicht nur traurig sondern höchst bedenklich. Ein Skandal ist es zudem, dass Menschen, die sich mit ihrem Nachwuchs auf diesen Weg machen, alle möglichen Hindernisse in den Weg gelegt werden. Die Kosten, die sich die öffentliche Hand durch die frei-sich-bildende Jugend erspart, liegen je nach Schulart immerhin zwischen acht- und zwölftausend Euro pro Kind und Schuljahr. Eltern und Lernbegleiter geben’s offenbar billiger. Das muss dringend abgestellt werden. Denn schließlich soll das Geld unter dem Motto „Heimat großer Töchter, Söhne“ dort landen, wo es gebraucht wird: bei den bildungswilligen Jungen und Mädchen dieses Landes. Bildungsfreiheit ist für mich ...
Leserinnen und Leser von Get Bildung! haben sich Gedanken zum Thema Bildungsfreiheit gemacht und diese in Kurzstatements gefasst. Mehr lesen
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Dezember 2016
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