Ein Kommentar zum Bildungsinvestitionsgesetz
von Michael Karjalainen-Dräger Momo, Michael Endes prophetisches Märchen für Erwachsene, lässt die zeitsparenden Menschen nicht nur den Wohnbau vereinheitlichen und im Buch so genannte Seelensilos errichten, sondern auch die dann nicht „beaufsichtigbaren“ jungen Menschen in Kinder-Depots abschieben. Dort werden sie dann uniformiert – und das nicht nur im eigentlichen sondern auch im übertragenen Sinn des Wortes. Als Momo ihren FreundInnen aus dem Amphietheater, in dem sie jeden Nachmittag ihren phatasievollen und phantastischen Spielen nachgegangen sind, nach der Machtübernahme der Grauen Herren auf der Straße begegnet, trifft sie auf einen einheitlich gekleidete und im Gleichschritt marschierende Kindertruppe. Der nunmehr vorgelegte Entwurf eines Bildungsinvestitionsgesetzes lässt tief in unsere gesellschaftlichen Veränderungen zu Lasten der Jungen blicken. Bei genauem Betrachten zeigt er die von Ende beschriebene Tendenz, die, die noch nicht so ticken wie die Erwachsenen, möglichst schnell – unter dem Vorwand einer Verbesserung der Bildungschancen – unter einen Hut zu bringen und zu normieren. Die von der Bildungsministerin propagierte verschränkte Ganztagsschule mit werktäglichen Anwesenheitszeiten von 8-16 Uhr (und deren möglichen Ausweitung auf einen Zeitraum von 7 – 18 Uhr) lässt viel mehr Fragen offen als sie beantworten kann. Das wohl einschneidenste Merkmal des Entwurfes ist die Zurückdrängung der Wahlfreiheit. Die aber gab es de facto ohnehin schon lange nicht mehr, da viele Gegebenheiten existieren, die es einer wachsenden Zahl von jungen Menschen immer schwerer machen, die Schule zu bestehen. In der Analyse also mag die Ministerin Recht haben, in den Maßnahmen liegt sie aus meiner Sicht komplett daneben. Aber da ist sie nicht alleine verantwortlich zu machen, weil die Frage, wie ein gutes Leben abseits von enormem Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsdruck möglich ist, eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist. Dabei sind nicht nur alle politisch Verantwortlichen sondern auch jedeR Einzelne gefordert. Denn die geltenden Regeln sind – wie viele anderen auch - keineswegs gottgewollt sondern menschengemacht.
0 Kommentare
Das Bildungsinvestitionsgesetz wurde nach einer bloß zwölftägigen Begutachtungsfrist nun von der Bundesregierung im Ministerrat am Dienstag beschlossen und dem Nationalrat als Regierungsvorlage zur Beschlussfassung vorgelegt. Damit wurde die Verteilung jener 750 Millionen Euro aus der Bankenabgabe beschlossen, die der Bildungsministerin zum flächendeckenden Ausbau schulischer Tagesbetreuung zur Verfügung gestellt wurden. Michael Karjalainen-Dräger analysiert das aktuelle Gesetzesvorhaben, das am 1.9.2017 wirksam werden soll.
Ziel der Maßnahme ist es laut Bildungsministerium, eine Verbesserung der Schülerleistungen, eine Reduktion des Nachhilfebedarfs und eine Entkopplung der Leistungen vom sozioökonomischen Background zu ermöglichen. Dies über die Förderung von verschränkten Ganztagsschulen zu erreichen ist der Plan der neuen Bildungsministerin. Bildungswissenschaftlich ist das Vorhaben zur Erreichen dieser Ziele höchst fragwürdig, gibt es derzeit doch keinen belegbaren Zusammenhang zwischen einer höheren Anwesenheitszeit an der Schule und einem besseren Schulerfolg. Allein der höhere Bedarf an Betreuungsplätzen hätte die Maßnahme durchaus schon gerechtfertigt, wie der Österreichische Gewerkschaftsbund in seiner Stellungnahme anmerkt. Verkürzte Begutachtungsfrist ohne Angabe von Gründen Im Fall des vorliegenden Gesetzes wurde seitens des zuständigen Ministeriums ohne Angabe von Gründen eine Reduktion der rechtlich verankerten Begutachtungsfrist von mindestens 6 Wochen auf ein knappes Drittel vorgenommen. Das führte zu Kritik von fast allen Stellungnehmenden, veränderte aber nichts an der Tatsache, dass die Regelung schon 5 Tage nach Ende der Frist und trotz massiver Kritik von allen Seiten ohne essentielle Änderungen als Regierungsvorlage im Ministerrat beschlossen wurde. Hier stimmte auch der Finanzminister zu, der in seiner Stellungnahme noch reichlich Bedenken hatte. 750 Millionen bis 2025 – und dann? Wie nun will die Bildungsministerin ihr propagiertes Ziel erreichen? Hintergrund ist die im Schuljahr 2018/19 auslaufende Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über den weiteren Ausbau der ganztägigen Schulformen. Erklärtes Ziel ist es daher, „das Angebot der ganztägigen Schulformen für Schülerinnen und Schüler an öffentlichen und mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten allgemein bildenden Pflichtschulen in bedarfsgerechter Form weiter auszubauen.“ Einerseits soll ein flächendeckendes Angebot an schulischer Tagesbetreuung im Umkreis von maximal 20 km zum Wohnort andererseits an diesen Ganztagsschulen auch außerschulische Betreuungsangebote während der Ferienzeiten zur Verfügung gestellt werden. Zur Verwirklichung dieser Maßnahmen stellt der Bund Geldmittel in der Höhe von 750 Millionen Euro zur Verfügung, die aus einem fixen Anteil von 500 Millionen und einem flexiblen Anteil von 250 Millionen Euro bestehen. Der so genannte „fixe Anteil“ kommt dem Ausbau ganztägiger Schulformen an öffentlichen (nicht jedoch an privaten mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten) allgemein bildenden Pflichtschulen zu Gute. Dort sollen damit zusätzliche Klassen mit verschränkter oder zusätzliche Gruppen mit getrennter Abfolge des Unterrichts- und Betreuungsteiles eingerichtet werden. Finanziert werden sowohl Infrastrukturmaßnahmen als auch Personalkosten. Der „flexible Anteil“ kann auch für „Umwandlungen von Gruppen mit getrennter in Klassen mit verschränkter Abfolge des Unterrichts- und Betreuungsteiles, die Auflassung bestehender außerschulischer Betreuungseinrichtungen zugunsten ganztägiger Schulformen, außerschulische Betreuungsangebote an ganztägigen Schulformen in den Ferienzeiten und die Entlastung der Erziehungsberechtigten in Hinblick auf die Betreuungsbeiträge“ verwendet werden. Für letzteres wird seitens des Ministeriums die Umsetzung einer sozialen Staffelung der Elternbeiträge vorgeschlagen. Ebenso kommen hier die mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten allgemein bildenden Pflichtschulen zum Zug. Auch in diesen „Privatschulen“ soll damit die Einrichtung zusätzlicher Klassen mit verschränkter oder zusätzlicher Gruppen mit getrennter Abfolge des Unterrichts- und Betreuungsteiles ermöglicht werden. Betont wird dabei seitens des Ministeriums, dass „es sich dabei nur um eine unterstützende Anschubfinanzierung handelt und die langfristige Finanzierbarkeit seitens der Schulerhalter zu sichern ist.“ Warum die Eile bei so vielen offene Fragen? Was aber passiert nach 2025 mit der Finanzierung der so eingerichteten Schulen? Das ist nur eine von vielen Fragen, die sich auch schon während der Begutachtung gestellt haben. Allen voran wurde von den 31 in der Zeit zwischen 4. und 16.11.2016 eingebrachten Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf die nur zwölftägige Begutachtungsfrist kritisiert, die eindeutig der 1999 gesetzlich vereinbarten Mindestzeit von 4 Wochen widerspricht. Da das Gesetz erst am 1.7.2017, also in knapp 10 Monaten in Kraft treten soll, ist die Eile in einer so komplexen Materie für viele der Stellungnehmenden nicht nachvollziehbar. Von den Behindertenorganisationen wurde eine explizite Formulierung im Hinblick auf Inklusion und Barrierefreiheit der geförderten Einrichtungen eingefordert. Getadelt wurde auch die Bevorzugung von verschränkten Ganztagsschulen gegenüber solchen mit getrennter Abfolge von Unterrichts- und Betreuungsteil, was einer notwendigen Wahlfreiheit von Eltern und SchülerInnen zuwiderlaufe. Auch eine autonome Entscheidungsmöglichkeit zur Regelung der Öffnungszeiten wurde moniert, wurde das Ende des Schultages einer geförderten Einrichtung doch seitens des Ministeriums mit 16 bis 18 Uhr festgelegt und das an allen fünf Wochentagen. Auch auf die notwendige Schaffung von Rückzugsräumen wurde hingewiesen, wären doch nicht alle Kinder in der Lage, sich den ganzen Tag über in einer Gruppe aufzuhalten. Das Finanzministerium bezweifelte in seinen Ausführungen gar, dass auf diese Weise neue Schulplätze geschaffen werden. Die Lehrergewerkschaft pochte auf eine Freistellung der LehrerInnen von ihren Betreuungsverpflichtungen in den Ferien. Die LehrerInnen spielen vor allem im Konzept einer verschränkten Ganztagsschule auch im Betreuungsteil eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang wird davor gewarnt, dass die anderen BetreuerInnen wohl nur teilzeitbeschäftigt werden können und das zu einer Fülle an prekären Arbeitsverhältnissen führe. Alle diese Einwände wurden im überarbeiteten Entwurf nicht berücksichtigt. Bloß die von den Kirchen monierte Ausweitung auf Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht wurde eingearbeitet. Nun sind der Nationalrat und seine Ausschüsse am Zug, um all die offenen Fragen zu klären. Aber auch jede/r Österreicher/in hat natürlich noch die Möglichkeit mit den Abgeordneten zum Thema ins Gespräch zu kommen und auf die notwendigen Verbesserungen zu drängen. Fragen an Bundesministerin Hammerschmid, deren Beantwortung auf GET BILDUNG! veröffentlicht wird:
Detaillierte Informationen zum Bildungsinvestitionsgesetz: |
Archiv
Dezember 2016
Kategorien
Alle
|